Einige Ergebnisse des Ratschlags „Vergesellschaftung des Wohnungswesens“ vom 14.12.2019

Der Ratschlag der „Kritischen Immobilienaktionär*innen“ in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur „Vergesellschaftung des Wohnungswesens“ war entlang von drei Leitthemen strukturiert. Im ersten Teil mit Beiträgen von Christoph Trautvetter und Sebastian Bartels ging es um die beiden Fragen, inwiefern die Sozialisierung von Wohnungsunternehmen rechtlich zulässig ist und was überhaupt vergesellschaftet werden soll. Im zweiten Teil mit Vorträgen von Inga Jensen und Jan Kuhnert stand dagegen das Problem im Vordergrund, wohin vergesellschaftet werden soll, also wie die Organisationsformen eines gemeinwirtschaftlichen Wohnungswesens unter demokratischer Kontrolle der Mieter/innen sowie zivilgesellschaftlicher Akteure strukturiert sein sollten. Im dritten Teil wurde dann von Knut Unger, Michael Boedecker und Jana Mattert die Frage in den Vordergrund gerückt, wie der Übergang in die Wohnungsgemeinwirtschaft politisch durchgesetzt und der Ausbau eines nicht renditeorientierten Wohnungssegments vorangetrieben werden kann.

Aus den insgesamt produktiven und sehr aufschlussreichen Diskussionen lassen sich insgesamt fünf zentrale Erkenntnisse in den drei Themenfeldern Recht, Wissensproduktion und Gesamtstrategie hervorheben:

  1. Rechtlich ist eine Vergesellschaftung möglich

Erstens hat die Analyse sämtlicher bisher vorliegender Gutachten zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen von Sebastian Bartels gezeigt, dass ein solcher Eingriff grundsätzlich möglich ist. Strittig und damit rechtlich heikel sind lediglich zwei Aspekte: Zum einen die Frage der Verhältnismäßigkeit, also ob alternative Instrumente, wie etwa ein Mietendeckel, existieren, die ähnlich zielführend wären, allerdings weniger stark in die bestehende Eigentumsordnung eingreifen würden; und zum anderen die Höhe der zu zahlenden Entschädigung. Selbige muss rechtlich zwar nicht zum Verkehrswert erfolgen, wird aber voraussichtlich auch nicht deutlich günstiger ausfallen.

Zweitens wurde insbesondere in der anschließenden Diskussion deutlich, dass Recht nicht in Stein gemeißelt ist. Vielmehr ist auch die Praxis der Rechtsprechung Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Da Initiativen wie „Deutsche Wohnen & co enteignen“ oder auch andere kommunale Bürgerbegehren, wie etwa der Mietentscheid in Frankfurt, oft juristisches Neuland betreten und daher mit unbestimmten Rechtsbegriffen operieren, liegt in derartigen Auseinandersetzungen das Potential, durch politischen Druck von unten Kräfteverhältnisse zu verändern und damit auch das Rechtssystem innerhalb gewisser Bahnen zu verschieben.

  1. Kritische Wissensproduktion ausbauen

Im Bereich der kritischen Wissensproduktion über das Wohnungswesen im Allgemeinen und die finanzialisierte Wohnungswirtschaft im Speziellen hat der Ratschlag neben vielen weiteren wichtigen Details zwei zentrale Erkenntnisse gebracht:

Erstens hat der Vortrag von Christoph Trautvetter gezeigt, dass die simple Frage, wer oder was enteignet werden soll, und die gleichsam eingängige Antwort der Berliner Mieterbewegung, alle Wohnungsunternehmen mit mehr 3.000 Wohneinheiten, deutlich komplexer sind, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Dies liegt zum einen daran, dass die Antwort stark variiert, je nachdem ob man die Ebene des Grundbuches, des Konzerns oder der Anteilseigner betrachtet. Zum anderen sind die Eigentumsverhältnisse durch die Finanzialisierung der Wohnungswirtschaft verschlungen und zum Teil hochgradig intransparent. Essentiell für eine erfolgreiche Vergesellschaftung ist daher eine kritische Wissensproduktion über die finanzialisierte Wohnungswirtschaft und deren Eigentümerstrukturen, die sich an den praktischen Interessen der Mieterbewegung orientiert (vgl. z.B. Trautvetter und Bonczyk 2019; Unger 2018, 2017).

Zweitens hat der Ratschlag und insbesondere die Beiträge von Inga Jensen und Jan Kuhnert deutlich gemacht, dass bezüglich der Frage, wie die Organisationsformen eines gemeinwirtschaftlichen Wohnungswesens unter demokratischer Kontrolle von Mieter/innen und Zivilgesellschaft strukturiert sein sollten, bereits umfangreiche und detaillierte Konzepte vorliegen (vgl. etwa Kuhnert und Leps 2017; Holm et al. 2017, 2015). Gemein ist all diesen aktuell diskutierten Ansätzen zur Rekommunalisierung und Vergesellschaftung der Wohnraumversorgung, dass die Stärkung öffentlicher bzw. nicht renditeorientierter Eigentumsformen eng verbunden wird mit Fragen der demokratischen Steuerung. Die demokratische Einbindung von Mieter/innen und Akteuren der Zivilgesellschaft dient dabei sowohl dem Schutz vor möglichen zukünftigen Reprivatisierungsbestrebungen qua Vetorecht als auch einer bedarfsgerechten Wohnungsversorgung durch die Etablierung von Modellen der Selbstverwaltung. Die Mieterbewegung verfügt somit bereits über das notwendige Wissen, wie eine nicht renditeorientierte Wohnungswirtschaft organisiert sein könnte. Allerdings hängt dieses Wissen bislang an relativ wenigen Expert/innen. Als ein wesentliches Ergebnis des Ratschlags kann daher festgehalten werden, dass Bildungsformate, Ausbildungswege und institutionelle Strukturen geschaffen werden müssen, die zu einer Verbreitung dieses Wissens beitragen können.

  1. Gesamtstrategie zur Vergesellschaftung

Die Beiträge von Knut Unger, Michael Boedecker und Jana Mattert haben die Frage in den Vordergrund gerückt, wie die Vergesellschaftung der Wohnungswirtschaft politisch durchgesetzt und der Ausbau eines nicht renditeorientierten Wohnungssegments vorangetrieben werden kann. Die Vortragenden haben dabei einzelne mietrechtliche und steuerrechtliche Instrumente, garantierte Mindestanforderung an die Bewirtschaftung sowie die Einführung und Privilegierung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit zu einer Gesamtstrategie zusammengeführt, die im Ergebnis das Ziel hat, die Renditepotenziale der finanzialisierten Wohnungswirtschaft so stark zu begrenzen, dass deren Geschäftsmodell scheitert und die Bestände reif für ihre Vergesellschaftung werden (Unger 2017). Deutlich wurde dabei, dass es nicht an Kreativität und konkreten politischen Forderungen und Konzepten mangelt, wie eine solche Gesamtstrategie zur Vergesellschaftung strukturiert sein könnte. Offen blieb aber die entscheidende Frage, woher die politischen Mehrheitsverhältnisse für ein solches Unterfangen kommen sollen. Bislang ist die Mieterbewegung zwar in einzelnen Städten bzw. auf kommunaler Ebene handlungsfähig, jedoch kaum in der Lage nennenswerten Einfluss auf Bundes- und Landespolitiken zu nehmen. Wie sich dies ändern ließe, d.h. wie die langfristige Organisierung von Mieter/innen sowie deren bundesweite Vernetzung gelingen kann, um den notwendigen Druck aufzubauen, eine solche Gesamtstrategie zur Vergesellschaftung auch durchsetzen zu können, müsste Gegenstand eines zukünftigen und explizit darauf fokussierten Workshops sein.

Literaturverzeichnis

Holm, Andrej; Horlitz, Sabine; Jensen, Inga (2015): Neue Gemeinnützigkeit. Gemeinwohlorientierung in der Wohnungsversorgung. Arbeitsstudie im Auftrag der Fraktion DIE LINKE. im deutschen Bundestag. Online verfügbar unter https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studien_5-17_Neue_Wohnungsgemeinnuetzigkeit.pdf

Holm, Andrej; Horlitz, Sabine; Jensen, Inga (2017): Neue Gemeinnützigkeit. Voraussetzungen, Modelle und erwartete Effekte. Hg. v. Rosa-Luxemburg Stiftung. Online verfügbar unter https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Presse/pdf/Neue_Wohnungsgemeinn%C3%BCtzigkeit.pdf

Kuhnert, Jan; Leps, Olof (2017): Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Wiesbaden: Springer VS.

Trautvetter, Christoph; Bonczyk, Sophie (2019): Profitmaximierer oder verantwortungsvolle Vermieter? Große Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin im Profil. Hg. v. Rosa-Luxemburg Stiftung. Berlin. Online verfügbar unter https://www.rosalux.de/publikation/id/40502/profitmaximierer-oder-verantwortungsvolle-vermieter/

Unger, Knut (2017): So bändigen wir die Wohnungsriesen. Ansätze zur gesellschaftlichen Kontrolle der finanzmarktorientierten Vermietungskonzerne. Hg. v. Rosa-Luxemburg Stiftung (Standpunkte). Online verfügbar unter https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_11-2017_web.pdf

Unger, Knut (2018): Mieterhöhungsmaschinen. Zur Finanzialisierung und Industrialisierung der unternehmerischen Wohnungswirtschaft. In: Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 48 (2), S. 205–225.