„System Vonovia“ ?

Ein Erklärungsansatz für die vielen Falsch- und Phantomabrechnungen bei Vonovia & Co

„Abrechnungs-Tricks“, „Nebenkosten-Abzocke“, „Phantom-Abrechnungen“, „Betrügereien“… Solche und ähnliche Worte hört man immer wieder, wenn man sich mit Vonovia-MieterInnnen über ihre jährlichen Nebenkostenabrechnungen unterhält. Auch in den Medien reißt der Strom von Berichten über kleine und große Abrechnungsskandale nicht ab, – trotz all der professionellen Bemühungen des Konzerns um seine Reputation. Dabei ist der schlechte Ruf alles andere als neu. Schon die finanzdominierten Vorgängergesellschaften der Vonovia, egal ob sie Deutsche Annington oder GAGFAH hießen, führten die Hitparade der Mieterschrecken an. Man kann noch weiter zurückgehen: Ende der 90er Jahre machten staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu Betrügereien bei den Nebenkosten der Annington-Vorgängerin VEBA Wohnen bundesweit Schlagzeilen. Ist das etwas grundsätzlich faul im „Staate“ der großen Wohnungskonzerne?

Überall, wo MieterInnen selbstbewusst genug sind, ihren eigenen Augen und ihrem Verstand mehr zu trauen als den Abrechnungsschreiben und Zahlungserinnerungen der Vonovia, scheint Streit über die Richtigkeit der Kostenumlagen unvermeidbar zu sein. Das Märchen der Vonovia, die Fehler in ihren Abrechnungen seien „Einzelfälle“, glaubt niemand. Aus Kritik wird Misstrauen, aus Misstrauen wird die Suche nach Schuldigen.  Muss man jahrelang vergeblich reklamierte Betriebskostenabrechnungen über nicht stattgefundene Winterdienste, nicht vorhandene Kabelanschlüsse, kaum bekannte „Hauswarte“ und falsche Aufmaße nicht als Versuche arglistiger Täuschung und des Betrugs begreifen? Nicht wenige MieterInnen denken so. Als Laien im Strafrecht haben sie Schwierigkeiten, keinen Vorsatz darin zu erkennen, wenn der Vermieter jahrelang immer wieder die gleichen „Fehler“ zu ihren Lasten macht. Sie verstehen nicht, warum die Staatsanwaltschaft Bochum Ermittlungen gegen den Vonovia-Vorstand in mehreren von MieterInnenverein Witten angezeigten und dokumentierten Fällen eingestellt hat, nachdem sich die Vonovia wieder mal auf einen unbeabsichtigten Einzelfehler berief und weil die Schädigung des einzelnen Mieters gering war.

Den Vorwurf einer subjektiven Betrugsabsicht einer bestimmten Person gegen bestimmte MieterInnen wird man in einem so komplexen Konzern wie der Vonovia wohl kaum je belegen können. Der Vorwurf einer systemischen Täuschung durch den Verwaltungs- und Steuerungs-Apparat des renditeorientierten Konzerns ist damit aber nicht aus der Welt.  Diese Art von Täuschung bedarf keiner persönlichen Absicht eines böswilligen Betrügers, weil die Vorspiegelung falscher Tatsachen ein Elixier des konzernumspannenden Betriebssystems sein kann. Es hilft nicht, einen kleinen Schurken zu suchen, wenn das Geschäftsmodell des börsennotierten Vermietungs-Konzerns fundamental darauf ausgerichtet ist, möglichst viel Einkommen der MieterInnen zu Gunsten der AktionärInnen und des oberen Managements abzuschöpfen.

Eine vollständige Erklärung der häufigen „Phantomabrechnungen“ und anderer Falschinformationen in den Abrechnungen würde detaillierte Kenntnisse der konzerninternen Abläufe voraussetzen, die uns nicht zur Verfügung stehen. Ein Erklärungsversuch ist aber, dass sie Vonovia nicht über personell ausreichend ausgestattete und entscheidungsbefugte Wohnungsverwaltungen vor Ort verfügt. Dezentrale Verwaltungsstrukturen wurden schon vor Jahren abgebaut und durch ein zentralistisches, IT-gestütztes System mit offenbar unzureichenden Kontrollen ersetzt. Das im IT-System verwendete virtuelle Bild der Wohnanlagen und der erbrachten Leistungen stimmt oft nicht mit der Realität überein. Das könnte eine Kinderkrankheit einer an sich intelligenten Steuerung sein, bei der Vonovia ist es wohl eher ein strukturelles Laster. Die Vonovia ist oftmals auch nach vielen Mieterbeschwerden nicht bereit oder in der Lage, die Einträge in ihrer Datenbank durch Ortstermine zu überprüfen und anschließend dauerhaft zu korrigieren.

Ein „lernfähigeres“ System würde zusätzliche Kosten verursachen und wäre auch weniger einfach durch einheitliche finanzielle Kennziffern zu steuern. Außerdem hätte es den Nachteil, weniger Abrechnungsfehler zu Lasten der MieterInnen erzeugen. Da diese Fehler von den Mieterinnen nur in den wenigsten Fällen bemerkt und rechtlich wirksam reklamiert werden, führen sie direkt zu Mehreinnahmen der Vonovia. Und weil die abrechnenden Firmen zu einem großen Teil dem Konzern angehören, fließen die zusätzlichen Einnahmen der Konzernmutter zu. An einer Korrektur des Systems besteht bei der Vonovia deshalb kein unmittelbares wirtschaftliches Interesse. Korrekte Abrechnungen würden einen höheren Aufwand erfordern und weniger einbringen.

Im Zusammenhang mit den Subprime-Hypotheken, die die letzte Finanzkrise auslösten, hat man von einem System des „predatory lending“, der missbräuchlichen, betrügerischen, ja räuberischen Kreditvergabe gesprochen. Die US-amerikanische Wohnungsforscherin Desiree Fields hat den Begriff auf die neuen Großvermieter („corporate landlords“) angewandt, die auf den Crash folgten. Sie sprach von „predatory landlords“. Übersetzen wir es als „Schurken-Vermieter“. Um solche ein Fall des im – soziologischen  Sinne – schurkenhaften  Geschäftsmodells könnte man auch in Bezug auf das Abrechnungssystem von Vonovia & Co sprechen. Es werden durch die auf Renditeoptimierung programmierten automatisierten Standardabläufe innerhalb der Konzernkonstruktion notwendig Kosten konstruiert, die über die Kostendeckung auf Konzernebene hinaus gehen.

In einem rechtlichen Sinne verantwortlich dafür, dass das System installiert, aber nicht korrigiert oder ersetzt wird, ist allein der Vorstand der Vonovia SE, der die Steuerungskompetenz für den Gesamtkonzerns besitzt.

Im Bundestagswaljahr ist es an der Zeit, den Gesetzgeber daran zu erinnern, dass hier etwas gewaltig aus dem Ruder läuft. Geschäftsmodelle, die auf der Vortäuschung von Kosten und Leistungen beruhen, müssen unterbunden werden