Die finanzdominierte Wohnungswirtschaft ist sozialisierungsreif!
Die zum Teil gigantische Größe der Konzerne, ihre hohe Abschöpfung der Mietereinkommen für Gewinnausschüttungen, die systematische Renditeoptimierung aller Aspekte der Wohnungsbewirtschaftung und die wachsende digitale Kontrolle über das Leben in den Wohngebieten zeigen: die finanzialisierte Wohnungswirtschaft ist sozialisierungsreif. Um ihre Vergesellschaftung zu erreichen, genügt es aber nicht, gelegentlich Enteignungsparolen zu rufen. Wir benötigen vielmehr eine Strategie, die in der ganzen Bundesrepublik darauf Einfluss nimmt, dass finanzmarktorientierte Wohnungseigentümer wesentlich stärker reguliert und dabei möglichst viele ihrer Wohnungen in das Eigentum gemeinnütziger Träger überführt werden.
Es ist das Verdienst der Berliner Volksinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die Vergesellschaftung der Wohnungen großer EigentümerInnen zu einer basisbewegenden und realpolitischen Option auf Landesebene gemacht zu haben. Bei einem Erfolg dieser Initiative könnte zumindest lokal ein Teil der negativen Folgen der verhängnisvollen Deregulierungen und Privatisierungen vergangener Jahrzehnte rückgängig gemacht werden. In Berlin würde eine starke gemeinwirtschaftliche Basis für ein leistungsfähiges und soziales Wohnungswesen geschaffen, das den Finanzmärkten entzogen ist.
Die Signalwirkung der Berliner Kampagne ist auch bundesweit beeindruckend und hat den Raum für wohnungspolitische Alternativvorstellungen nachhaltig erweitert. Die Berliner Bewegung allein ist für die erforderliche soziale Transformation der Wohnungswirtschaft im gesamten Bundesgebiet aber nicht ausreichend. Wir brauchen eine Programmatik, in der unerschiedliche Instrumente und Experimente mit ihren unterschiedlichen Handlungsebenen, Zeithorinzonten und Realisierunschancen zu einem vielstimmigen Prozess zusammenfließen können.
Eines der Etappenziele einer solchen Transformation ist die Schaffung einer realen und leistungsfähigen organisatorischen Alternative zur rendite- und finanzmarktorientierten Wohnungswirtschaft in ganz Deutschland. Eine solche Alternative existiert flächendeckend derzeit nicht. Ganz oben auf der politischen Tagesordnung nach der Bundestagswahl sollte deshalb stehen, dass der Bund eine Rahmengesetzgebung für eine Neue Wohnungsgemeinwirtschaft sowie ihre öffentliche Förderung schafft. Zu den Trägern dieser Wohnungswirtschaft könnten neben Neugründungen vor allem kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen zählen, die durch günstige Konditionen davon überzeugt werden, freiwillig dauerhafte Sozialbindungen einzugehen. Das wird allerdings ein mühseliger Weg. Durch die Vergesellschaftung der Immobilien von Großkonzernen gem. Artikel 15 GG könnte – entsprechender politischer Wille vorausgesetzt – auf direktem Wege ein Grundstock für eine gemeinwirtschaftliches Wohnungswesen mit weit über 1 Million Wohnungen angelegt werden.
Konzerne wie Vonovia, Deutsche Wohnen und LEG besitzen gigantische Ausmaße und benötigen nicht einmal die Hälfte der Mieteinnahmen zu Deckung der laufenden Kosten. Weit über ein Drittel der Mieteinnahmen fließt an die Anleger. Dass so große Anteile der Mieten an die globalen Finanzmärkte umverteilt werden, ist für die soziale Wohnungswirtschaft ein Riesenverlust. Durch Vergesellschaftung dieser Konzerne könnten dem gemeinwirtschaftlichen Wohnungswesen dauerhaft hohe Einnahmen zufließen, die entweder für soziale Mietsenkungen oder für den sozialen Neubau eingesetzt werden könnten. Ihre Überführung in gemeinwirtschaftliche Trägerstrukturen würde zudem mit einem Schlag große Kapazitäten für die Durchsetzung von Klimaneutralität im Wohnungsbestand schaffen.
Wie die Initiative Deutsche Wohnen & Co. aufgezeigt hat, ist die Entschädigung für eine Vergesellschaftung schon auf Landesebene gut finanzierbar. Es dürfen dabei freilich nicht die fiktionalen Immobilienwerte der durch die Finanzindustrie selbst gesetzten IFRS-Standards Berechnungsgrundlage der Entschädigung sein. Vielmehr muss bei einer Vergesellschaftung nach Artikel 15 GG eine eigene Bewertungsgrundlage geschaffen werden, die sich an sozialen Zielwerten orientiert und berücksichtigt, dass die Höhe von Aktienkursen nicht unter den grundgesetzlichen Eigentumsschutz fällt. Eine Entschädigung maximal zum Ertragswert würde völlig ausreichen.
Bei heutigen Leitzinsen kann die Entschädigung ohne Probleme aus Staatsanleihen finanziert werden. Fast zum Nulltarif ließe sich so auf einen Schlag eine leistungsfähige Wohnungsgemeinwirtschaft mit Hunderttausenden von Wohnungen bei einem geringen Verschuldungsgrad schaffen.
Zur Erreichung dieses Ziels muss noch nicht einmal unbedingt zu dem letzten Mittel der Enteignung gegriffen werden. Es gibt viele regulatorische Möglichkeiten, die Übertragung von Wohnungen auf gemeinnützige Träger attraktiv, die Investition in Wohnungen als Finanzanlagen dagegen unattraktiv zu machen. Dazu zählen Mietpreiskontrollen, Transparenz- und Transaktionsregister sowie gestärkte Mieterrechte ebenso wie eine konsequente Besteuerung von Share Deals und die Neuregelung der Immobilienbewertung. All diese Maßnahmen stellen zugleich auch für sich selbst wichtige Schritte einer demokratisch-sozialen Transformation des gesamten Wohnungswesens dar.
Denn selbst wenn alle Wohnungen finanzmarktorientierter Großvermieter vergesellschaftet würden, würde das nicht wesentlich mehr als 5 % des bundesdeutschen Mietwohnungsbestandes ausmachen. Es würde an vielen Orten ein wichtiges Korrektiv auf den Wohnungsmärkten geschaffen. Eine Garantie, dass die Märkte die Wohnbedürfnisse aller Menschen bezahlbar befriedigen, wäre es nicht.
Um den gesamten Wohnungsmarkt gemeinwohlverträglich zu machen, muss nach umfassenderen Mitteln gegriffen werden. Eine Schlüsselrolle dabei würde die Schaffung eines öffentlichen Rechts der Wohnungsbewirtschaftung spielen. Durch die Einrichtung einheitlicher Vermieterregister mit jährlichen Berichtspflichten sollten die real Verfügungsberechtigten der Wohnungen identifiziert und für Verstöße gegen Mindestanforderungen einer zuverlässigen Wohnungsbewirtschaftung zur Rechenschaft gezogen werden können. Zu den Anforderungen würden insbesondere eine kompetente und gut erreichbare Wohnungsverwaltung gehören, sowie der Nachweis ausreichender Instandhaltungen oder dafür gebildeter Kapitalrücklagen. Ein Teil der Mieteinnahme sollte auf Instandhaltungs-Konten fließen, die durch die Kommunen und MieterInnen mitkontrolliert werden.
Auch das Mietrecht muss in diesem Zusammenhang verbessert werden. Zum Beispiel dürfen Menschen, die eine Wohnung in einem Mietshaus anmieten, nicht befürchten müssen, nach späteren Verkäufen durch die Erwerber wegen Eigenbedarfs gekündigt zu werden. Eine Mietwohnung muss sicher sein. Ausnahmen darf es nur geben, wenn sich ein Kleinvermieter die spätere Selbstnutzung bei Vertragsabschluss ausdrücklich vorbehält. Das räuberische Geschäftsmodell der Mietwohnungsumwandlung kann beendet werden, ohne bestehende Eigennutzungsrechte zu verletzen.
Wie wir überall beobachten, versagt das individuelle Mietrecht bei der Verteidigung der gemeinsamen Mieterinteressen in großen Wohnungsunternehmen. Der Vermieter kann hunderttausend Serienbriefe mit Mieterhöhungen und Nachforderungen verschicken. Jede/r MieterIn muss dagegen im Zweifel einzeln vor Gericht ziehen. Das Mietrecht des BGB reicht als Gegenpol zur finanzmarktgetriebenen großen Wohnungswirtschaft deshalb nicht aus. Wir brauchen eine Vereinfachung von Muster- und Verbandsklagen und ein kollektives Mietrecht mit gemeinschaftlichen Zurückbehaltungsmöglichkeiten. Wir brauchen ein Vermietungsverfassungsgesetz mit garantierten Informations-, Kontroll-, Widerspruchs- und Mitbestimmungsrechten legitimierter Mietervertretungen.
Eine entschlossene soziale Regulation des gesamten Wohnungswesens und die Vergesellschaftung des dafür „reifen“ großen Immobilienbesitzes würde nicht nur die Voraussetzungen dafür verbessern, jedem Menschen ein sicheres Zuhause zu geben und unsere Städte klimagerecht umzubauen. Sie würde auch das Eigentum derjenigen schützen, die es auf eine Weise gebrauchen, die in Übereinstimmung mit Artikel 14 GG zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dient.