Will Vonovia-Chef Buch die deutschen Mietgesetze umpolen?

In den letzten Tagen hat Vonovia-Chef Rolf Buch in den Medien mehrfach „Verständnis“ für empörte MieterInnen geäußert und Änderungen der Mietengesetzgebung gefordert. Er möchte diese an dem angeblich mieterfreundlichen „schwedischen Modell“ ausgehandelter Mieten orientieren. Was ist von dieser Selbstdarstellung des Konzern-Chefs zu halten? Was ist das „schwedische Modell“, und ist es für die MieterInnen besser? Welche Interessen stecken hinter dieser Kampagne?

Am 8. November zeigte sich Buch in einer Talkshow des  „Spiegel“  scheinbar sehr besorgt über die steigenden Mieten. Zur Zeit würden hohen Mieten bei Neuabschlüssen erzielt. So würden die Mietspiegel und damit auch die Bestandsmieten angetrieben. Dieser Mechanismus müsse unterbrochen werden. Es dürften die Miete nicht viel stärker steigen als die Löhne. Als Alternative brachte Buch das „Modell Schweden“ mit seinen ausgehandelten Mieten ins Gespräch. Es führe „de facto“ dazu, dass die Mieten nicht schneller stiegen als die Inflation. Am 5. November war Buch in der „Berliner Zeitung“ bereits mit ähnlichen Anregungen zitiert worden. In Schweden würden „Mietergewerkschaft“ und Vermieter die Mieten aushandeln und sich dabei an der Inflationsrate orientieren.

Wie gewohnt handelte es sich bei seinen Äußerungen fast vollständig um gezielt konstruierte Märchen. Sie sollen von den umstrittenen Geschäften der Vonovia ablenken und den Konzernchef als Heilsbringer inszenieren. Zugleich versucht Buch, Themen für eine Diskussion von Mietrechtsänderungen zu setzen, die der Vonovia auch langfristig hohe Renditen sichert.

Zunächst einmal möchte Buch den Eindruck erwecken, die Vonovia verhalte sich besonders sozial und nutze nicht die Mieterhöhungsmöglichketen nicht aus. Das Gegenteil ist der Fall. Die vom Konzern in ihren Geschäftsberichten präsentierten Mietsteigerungen auf vergleichbarer Fläche („like-for-like“) betrugen in Deutschland seit 2014 jährlich im Durchschnitt fast das Vierfache der Inflationsrate und das Dreieinhalbfache der Reallohnsteigerung (siehe Tabelle). Die Mietsteigerungen bei der bundesweit aktiven Vonovia lagen im Durchschnitt fast zweieinhalbmal so hoch wie die durchschnittlichen Mietsteigerungen in ganz Deutschland. Das heißt: Die Vonovia zieht bei den Mieten nicht etwa nach, sie treibt sie mit ihrem riesigen Wohnungsbestand an.

Angaben in % 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
VONOVIA* Steigerung monatl. Miete Deutschland like-for-like 2,5 2,9 3,3 4,1 4,2 3,4 2,2
Mietpreisindex Deutschland 1,5 1,3 1,2 1,3 1,6 1,4 1,4
Lebenshaltungskostenindex 1 0,5 0,5 1,5 1,8 1,4 0,5
Reallohnindex 2,2 2,1 1,2 0,7 1,4 0,7 0,4
* bis 2014 Deutsche Annington, Quelle; Gescäftsberichte, Statist. Bundesamt

Man darf aus den Buch-Erzählungen auch nicht auf einen fehlenden Mechanismus hoher Neuvertragsmieten bei der Vonovia schließen. Hierzu liefert der Konzern ebenfalls selbst einige Daten. Die von der Vonovia präsentierte Quote der Steigerung der Mieteinnahmen durch „Marktanpassungen“ (Mieterhöhungen und Neuvertragsmieten ohne Modernisierung) betrug in den letzten 5 Jahren durchschnittlich 1,2 % und lag damit ähnlich niedrig wie die Inflation. Die Mieten für neue Mietverträge spiegeln sich in diesem Wert nur begrenzt wider, da viele neu vermietete Wohnungen modernisert wurden. Es handelt sich hier also vor allem um die Folge von Mieterhöhungen bei laufenden Mietverhältnissen. Und da kann die Vonovia keine großen Sprünge machen, denn die Erhöhungsmöglichkeiten der Mietspiegel hat sie in aller Regel bereits voll ausgenutzt.

Wenn ältere Wohnungen leergezogen werden, werden sie von der Vonovia meist nicht einfach teurer weitervermietet. Sie werden modernisiert und dann noch teurer wiedervermietet. Zusammen mit den Mietsteigerungen nach Gebäudemodernisierungen werden die Effekte dieser Mietanhebungen auf die Steigerung der Vonovia-Durchschnittsmieten in einem eigenen Wert erfasst. Und der betrug in den letzten 5 Jahren durchschnittlich 2,3%, also fast das Doppelte der „Marktmietenanpassung“. Die „Marktanpassungen“ sorgen für ein Mithalten der  Vonovia bei der allgemeinen Mietsteigerung. Die starken Mietanhebungen nach Modernisierungen treiben zusätzlich die Wohnkosten der Menschen und die Renditen der Vonovia nach oben.

So ist es auch in Schweden. Dort sind die Vonovia Töchter Victoria Park und Hembla wegen ihrer „Renoviction“-Methode berüchtigt. In Schweden müssen sich die laufenden Mieterhöhungen an Werte halten, die traditionell alljährlich zwischen dem Mieterbund und den – immer noch zu mehr als 50% kommunalen – Wohnungsgesellschaften ausgekungelt werden. Diese Regel hat aber Lücken, die sich die Vonovia zu Nutze macht.

Die zentrale Lücke besteht darin, dass die vereinbarten Mieten oft nicht für die modernisierten Wohnungen gelten. Da viele Vonovia-Wohnungen in Schweden starke Mängel aufweisen, z.B. an den Rohrleitungen, werden sie für die Sanierungen leergezogen. Danach aber wertet die Vonovia die Wohnungen auf, z.B. mit Marmorteilen. Wie Defne Kadioglu, die an der Universität Malmö zur Vonovia forscht, berichtet, werden bei Wiedervermietungen Mieten verlangt, die 30 % bis 60 % über den alten Mieten liegen. Die früheren MieterInnen können sich das oft nicht leisten. Die ärmere Bevölkerung wird durch eine etwas besser Verdienende ausgetauscht, die vielleicht auch in Zukunft steigende Mieten bezahlen kann. So wachsen Einnahmen und Werte der Vonovia. Wir erkennen das Muster der Gentrifizierungsstrategie in Deutschland wieder.

Zweite Lücke: Wenn sich der schwedische Mieterbund und der Vermieter in diesen und anderen Fällen nicht auf eine Miete einigen, können die Vermieter die jährliche Mieterhöhung im Rahmen der einer gesetzlichen Regelung, die Unterschiede des Gebrauchswert der Wohnungen berücksichtigt,  individuell vereinbaren. Vonovia nutzt dies vehement aus berichtet Ilhan Kellecioglu, ein Vonovia-Mietervertreter und Forscher aus Stockholm-Husby. Die Gang vor die Mietgerichte schütze die MieterInnen nur schlecht  gegen willkürliche Mieterhöhungen.

Die Folgen der unsicheren Mietenkontrolle in Schweden drücken sich auch in Zahlen des Vonovia-Geschäftsberichtes aus. Im schwedischen Vonovia-Bestand stiegen die Mieten 2019 und 2020 mit 5% bzw. 4,1% wesentlich stärker als in Deutschland.

Wenn uns Buch das Prinzip der „ausgehandelten“ Mieten in Schweden als soziales Modell verkaufen will, hat das einen sehr schalen Beigeschmack.  Für den MieterInnenschutz in Deutschland wäre es ein starker Rückschritt. Es träten an die Stelle des von vielen erhofften Mietendeckels oder wenigstens deutlicher Verbesserungen am bestehenden Vergleichssystem lokal ausgehandelte Mieten. Deren Höhe würde dann vor allem davon abhängen, wie gut die Mieterseite in Großstädten die Öffentlichkeit mobilisieren kann. Denn andere Druckmittel hat sie gegen den Riesenkonzern kaum. Aus Imagegründen könnte die Vonovia in diesen Städten Zugeständnisse machen. In anderen Städten gleicht sich das wieder aus. Der Konzern müsste sich weniger an gesetzliche Regeln halten. Er könnte ganz flexibel auf die jeweilige örtliche Lage reagieren. Er hätte seine Geschäfte noch viel mehr im Griff als jetzt.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass Buch diese Option in einer Zeit propagiert, in der es plötzlich wieder Inflation gibt. Da der Vonovia-Boss seine Vorschläge ausdrücklich mit der Inflationsrate verbindet, darf man vermuten, dass er einen Ausweg für das Dilemma sucht, dass die Inflation schneller steigen könnte als die Mietspiegel. Das erklärt vielleicht auch den Angriff auf die Koppelung der Bestands- und die Neuvermietungsmieten. Die Mieterhöhungsmöglichkeiten durch die Modernisierungsumlage müssen im Interesse der Wohnungswirtschaft auch dann erhalten werden, wenn es bei den Bestandsmieten zu flexiblen „Aushandlungslösungen“ kommen sollte. So wie es in Schweden ja schon der Fall ist.

Dies wird nicht der letzte Vorstoß der Buchschen Propagandamaschine bleiben. Unter Vorspiegelung sozialen und ökologischen Verantwortungsbewußtseins arbeitet sie systematisch an der Umpolung der wohnungswirtschaftlichen Regulationen im Sinne des Vonovia-Geschäftsmodells. Buch sagt, er warte auf einen Anruf der Ampelkoalition. Wann wird er den Wohnungsminister bestimmen?