Vonovia Halbjahresbericht 1/2019 : Selbstanpreisung mit Schönheitsfehlern

[UPDATE 4.8.2019] Die Vonovia SE hat ihren Geschäftsbericht für das erste Halbjahr 2019 vorgelegt. Laut Selbstdarstellung setzt sie ihre „positive Entwicklung“ fort. Die Selbstanpreisung wird aber durch einige Schönheitsfehler gestört: Die Vonovia musste eine hohe Abschreibung an ihrem immateriellen Unternehmenswert vornehmen. Die Quote „organischer Mietsteigerungen“ ohne Neubau ging von 4,0 % auf 3,7 % zurück. Und schließlich sitzen der Vonovia Mieterproteste und drohende Mietpreiskontrollen im Nacken. Zur Ausbesserung seiner angeschlagenen Reputation greift der Konzern mittlerweile zu teilweise absurd anmutenden Propagandamitteln.

„Eigenbedarfskündigungen ausgeschlossen“

Eigenbedarfskündigungen seien bei ihr ausgeschlossen, verkündet die Vonovia in ihrer Presseerklärung zum ersten Halbjahresbericht 2019. Nun weiß jede/r, dass ein Großunternehmen keinen Eigenbedarf anmelden kann. Eine tatsächliche Gefahr für die Wohnrechte der Mieter entsteht erst dann, wenn das Unternehmen Eigentumswohnungen an Dritte verkauft. Deshalb beteuert die Vonovia, sie „achte darauf“, dass sie „keine Mietwohnungsgebäude in Eigentum“ umwandle. Kunststück! Die Umwandlungen fanden bereits unter den Vorgängergesellschaften statt. Die „Vonovia Immobilien Treuhand“ verwaltet heute über 30.000 eigene Wohnungen. Außerdem hat die Vonovia in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang Wohnungsbestände an andere Finanzinvestoren veräußert. Darüber, dass dabei für die Mieter besondere Kündigungsschutzbestimmungen vereinbart wurden, ist nichts bekannt.

Wenn sie ihre MieterInnen wirklich vor im Falle des Einzelverkaufs mögliche Eigenbedarfskündigungen schützen wollte, könnte die Vonovia schlicht und einfach allen einen Zusatz zum Mietvertrag schicken, der dergleichen ausschließt. Natürlich tut sie das nicht, denn das würde den Marktwert der Immobilien senken. Bei dem „Ausschluss der Eigenbedarfskündigung“ der Vonovia handelt es sich um nichts anderes als um einen billigen Werbespruch.

„Wohngarantie ab 70“

Ähnlich hohl und irreführend ist die Verkündung einer „Wohngarantie“ ab einem Alter von 70 Jahren. Angeblich sollen die MieterInnen ab diesem Alter von der Vonovia keine Mieterhöhungen mehr befürchten müssen, die für sie nicht bezahlbar wären. Von einer rechtlichen „Garantie“ kann aber natürlich nicht die Rede sein. Die Vonovia will sich im Rahmen ihres „Härtefallmanagements“ lediglich darum kümmern, dass Menschen ab 70 bei einer Miethöhung in kleinere Wohnungen umziehen. Für den Vermieter lohnt sich das gleich doppelt: Erstens kann er in der neuen kleineren Wohnung eine höhere Quadratmetermiete verlangen. Und zweitens kann er die freiwerdende größere Wohnung mit hohem Aufschlag neu vermieten. Nicht wenige langjährige MieterInnen dürften die Ankündigung eines derartigen „Umzugsmanagements“ als zusätzliche Bedrohung empfinden.

Wie wenig ernst die angebliche soziale Ader der Vonovia zu nehmen ist, zeigt sich auch daran, dass sie erst ab einem Alter von 70 überhaupt Handlungsbedarf für eine Begrenzung der Wohnkostenbelastung sieht. Das Renteneintrittsalter liegt bekanntlich früher, und viele Menschen haben schon zuvor mit erheblichen Einkommensverlusten zu leben. Wenn man den Leuten Wohnsicherheit im Alter geben wollte, müsste man ihnen sehr viel früher, zum Beispiel ab 60, rechtlich zusichern, dass Mieterhöhungen ausgeschlossen sind, wenn dies zu einer Wohnkostenbelastung von mehr als zum Beispiel 30 Prozent des Nettoeinkommens führen. Natürlich ist von so etwas bei der Vonovia keine Rede.

Ausbau des internen Dienstleistungs-Monopols

Klappern ist gut fürs Geschäft, aber reale Einnahmen erzielt die Vonovia ganz überwiegend mit den Zahlungen ihrer MieterInnen. Dazu zählen neben den schlichten Grundmieten immer mehr auch die wachsenden Einnahmen aus Nebenkosten und Servicegebühren, die die Vonovia über ihre vielen Tochterunternehmen den Mietern abverlangt.

Dazu zählen angebliche Hauswart- und Winterdienstkosten, die die Vonovia ohne Beleg der tatsächlichen Personalkosten auf ihre Mieter umlegt. Dabei beruft sie sich auf die intransparenten Rechnungen von Tochterunternehmen, die eigens zu diesem Zwecke gegründet wurden. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Abrechnung der Modernisierungskosten, die ganz überwiegend auf Rechnungen des Tochterunternehmens Vonovia Modernisierungs GmbH beruhen. Die Einsichtnahme in Rechnungen der wahrscheinlich wesentlich günstigeren Subunternehmen und Lieferanten wird den Mietern, zum Beispiel dem MieterInnenverein Witten, verweigert. Ein besonders drastischer Versuch unbegründeter Kostenumlage stellt die Abrechnung hoher Planungskosten dar, die angeblich auf Honorarverträgen beruhen, die aber nie vorgelegt werden konnten. Deshalb hat die Vonovia Ende 2018 eine weitere „Abrechnungs-Zweckgesellschaft“ gegründet, die Vonovia Engineering GmbH.

Auch mit dem Abschluss von Zusatzverträgen zum Mietervertrag macht die Vonovia inzwischen steigenden Gewinn. Dazu zählen die Stromlieferungen durch das Tochterunternehmen Vonovia Energieservice GmbH, die der Mieter gleich mit Unterschrift unter einen neuen Vonovia-Mietvertrag vereinbart. Durch Kombination mit dem von der Vonovia angekündigten Ausbau von Photovoltaik-Anlagen, die den Mietern dann als (Ver)mieter-Strom angeboten werden könnte, ist ein starker Ausbau dieses Geschäftsfeldes zu erwarten.

All diese Bereiche, in denen der Konzern seine Monopolstellung gegenüber der eigenen Mieterschaft nutzen und ausbauen will, zählt die Vonovia zu ihrem Geschäftssegment „Value Add“. Die Umsätze des Segments stiegen in der ersten Jahreshälfte gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 46 % auf 135 Mio. Euro.

Expansion ins Ausland und Neuzusammensetzung der Mieterschaft

Trotz immer neuer Ansätze der Vonovia, ihren Mietern zusätzlich zur reinen Wohnungsvermietung Geld aus den Taschen zu ziehen, bleiben die Erlöse aus den Grundmieten die zentrale Quelle der Rendite. Das Vermietungsgeschäft trägt aktuell 83 % zum operativen Ergebnis vor Zinsen und Steuern bei. Nach den bisherigen Gepflogenheiten entsprechen die jährlichen Dividendenauszahlungen 35 % der Mieterlöse.

Den Anlegern werden steigende Dividenden versprochen, also müssen auch die Mieten weiter steigen. Und diesen Auftrag scheint die Vonovia auch weiter zur Zufriedenheit ihrer Anleger zu erfüllen. Die Mieteinnahmen des ersten Halbjahres 2019 stiegen gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 14 % auf über 1 Mrd. Euro.

Zu 70 Prozent geht das allerdings nicht auf höhere Effizienz und Mieterhöhungen, sondern auf die Erweiterung des Wohnungsbestandes der Vonovia und auf Veränderungen in der Zusammensetzung des Wohnungsbestandes zurück.

Über mehrere Jahre hinweg hat sich die Vonovia vieler Wohnungen mit geringen Mieten und einkommensarmen BewohnerInnen entledigt. Und zugleich hat sie sich in höherpreisige Märkte eingekauft. Für die damit verbundenen Erlössteigerungen musste sie allerdings auch tief in die Taschen ihrer Anleger greifen. Damit es sich lohnt, müssen die Mieten der aufgekauften Objekte nicht nur höher als das Gehabte sein, sie müssen auch steigerungsfähig sein.

2018 war es durch die Zukäufe der österreichischen BUWOG und der schwedischen Victoria Park zu umfangreicheren Zukäufen gekommen. Zugleich wurden viele Wohnungen aus dem wenig renditeträchtigen Non-Core-Bereich in Deutschland abgestoßen. Im Halbjahresbericht 1/2019 bilden sich diese Veränderungen noch ab, Im Vergleich zum Durchschnitt des Vorjahreszeitraums kam es durch den Überschuss der Zukäufe zu einer Erweiterung der vermieteten Fläche um 8,3 %. Das allein sorgt für über 60 % der Erlössteigerung. Da die neuen Wohnungen zum Teil höhere Mieten abwerfen als der vorherige Durchschnitt der Vonovia, liegt der Effekt für die Mieteinnahmen der Vonovia noch höher. Die Neuzusammensetzung der Mieterschaft mit Hilfe des Portfoliomangements sorgt nach den Daten im Halbjahresbereicht für 10 % der Mietumsetzsteigerung. Nach den Daten des Geschäftsberichtes 2018 war diese Quote mit 29 % weit höher.   

In der ersten Jahreshälfte 2019 ist es jedoch zu keinem starken Wachstum der Anzahl der Vonovia-Wohnungen mehr gekommen. Sie ging gegenüber dem Jahresende 2018 sogar zurück. Im ersten Halbjahr hat die Vonovia in den schwedischen Regionen Stockholm und Göteborg 2.340 vergleichsweise hochpreisige Wohnungen von dem auch in Deutschland berüchtigten Teuer-Modernisierer Akelius erworben. Natürlich liegen hier die Mieten wesentlich höher als bei den 754 Wohnungen aus dem „Non Core“-Bereich in Deutschland, die die Vonovia im gleichen Zeitraum abstieß. Hinzu kamen 1.234 verkaufte Eigentumsobjekte.

Wenn Vonovia in Zukunft nicht weitere große Wohnungspakete mit vergleichsweise hohen Mieten im Ausland erwerben kann, wird sie in ihren Geschäftsberichten nur geringere Erlössteigerungen ausweisen können. Umso mehr wird sie dann auf die Erhöhungen der Mieten in ihrem vorhandenen Bestand angewiesen sein.

Verringerte Steigerung der Mieten

Um ihre Anleger bei Stange zu halten, vermarktet die Vonovia eine Steigerung der Ist-Mieten pro Quadratmeter in Höhe von 4,4 %. Dies scheint auf den ersten Blick der Erhöhungsquote aus dem Geschäftsbericht 2018 zu entsprechen. Allerdings wies der die Erhöhungsquote von 4,4 % ausdrücklich für das „organische Mietenwachstum“ aus. Darunter versteht die Vonovia die Effekte von Erhöhungen der „Marktmieten“ (Mieterhöhungen bis zur Vergleichsmiete, Wiedervermietungen), Modernisierungen und Neubau, ohne die Veränderungen der Portfoliozusammensetzung.

Dieses „organische Mietenwachstum“ betrug nach Angaben im Halbjahresbericht 1/2019 „nur“ noch 4 %. Davon gingen 1,2 % auf Erhöhungen ohne Modernisierung zurück (2018: 1,3 %), 2,5 % auf die Modernisierungen (2018: 2,9 %) und 0,3 % auf Neubau- und Aufstockungsmaßnahmen. Ohne Berücksichtigung des Neubaus gingen die Mietsteigerungen von 4,0 % im 1. Halbjahresbericht 2018, bzw. 4,2 % im Geschäftsbericht 2018 auf 3,7 % zurück.

Die verringerten Steigerungen bedeuten natürlich keine Entwarnung für die Mieter. Die Vonovia strebt in ihrem Geschäftsausblick für 2019 auch weiterhin eine „organische Mietsteigerung“ von „bis“ 4,4 % an. Um diese Marge zu erreichen, müssen in diesem Jahr noch viele Erhöhungen und teure Wiedervermietungen erfolgen. Und in Zukunft gilt: Gerade wenn die Vonovia, wie angekündigt, weniger große und teure Modernisierungsmaßnahmen durchführen will, muss sie die Mieten in der Fläche anheben oder die Kosten senken.

Mietentreiber Nummer 1

Immer wieder behauptet die Vonovia, sie verlange nur Mieten, die für alle bezahlbar sind. Gerne verweist sie dann auf die Mieten, die sie im Durchschnitt im ganzen Bundesgebiet nimmt. Das sind derzeit 6,64 €/m².  Für eine Stadt wie Witten wäre diese Miete im Durchschnitt nicht nur nicht günstig, sondern für Standardwohnungen aus den 60er Jahren, wie die Vonovia sie anbietet, sogar sehr teuer. Real müssen die Menschen in Witten aber sogar Mieten bezahlen, die sowohl weit über dem Vonovia-Durchschnitt als auch über dem lokalen Wert des Mietspiegels liegen.

Auch nach zwei Jahren Mietenkampf, der zu manchem Zugeständnis des Vermieters führte, erhalten Bestandsmieter in Witten-Heven nach einer Modernisierung immer noch Mieterhöhungen von bis zu 40 % der bisherigen Miete. Die neue Miete entspricht 24 % der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem qualifizierten Mietspiegel. Bei der Neuvermietung bietet die Vonovia diese Wohnungen sogar zu Mieten an, die 48 % über der Vergleichsmiete liegen. Auch nicht modernisierte Wohnungen werden zu Mieten angeboten, die mindestens 25 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.

Dieses Vorgehen führt natürlich in Zukunft zu höheren Mietspiegeln. Die Vonovia ist zumindest in Witten zum Mietpreistreiber Nummer 1 geworden.

Zum Neubau gezwungen?

Im Bestand und bei Wiedervermietung werden die Mieten bislang durch Modernisierung angetrieben. Um die angestrebte jährliche Erhöhungsquote von 4,4 %  zu erzielen, muss die Vonovia stark in Modernisierungen oder aber in Neubau investieren. Da die Vonovia ihr Programm der Fassadenmodernisierungen reduzieren will, muss sie entweder wesentlich mehr kleinere Wohnungsmodernisierungen vornehmen oder den teureren Neubau verstärken. 

Gegenüber den Vorjahren hat sich der Anteil des Neubaus (inl. Aufstockung) am „organischen Mietenwachstum“ bereits verdreifacht.    Das Volumen der Investitionen in Modernisierungen und Neubau stieg gegenüber dem ersten Halbjahr 2918 um 65 %, ohne dass eine stärkere Mietsteigerung als bislang in Aussicht gestellt wird. Behält die Vonovia ihren Fahrplan bei, wird sich dieses Verhältnis noch weiter zu Lasten der kurzfristigen Rendite auf das eingesetzte Kapital verschieben. Nicht ohne Grund nimmt sie inzwischen stellenweise sogar öffentliche Wohnungsbaufördermittek in Anspruch.

Verlust an Unternehmenswert

Erstmals seit 10 Jahren musste die Vonovia im ersten Halbjahr 2019 eine hohe Abschreibung an ihrem Unternehmenswert vornehmen. Auslöser war eine Umstrukturierung der Regionen, die offenbar hohe Überbewertungen aufgekaufter Immobiliengesellschaften offen legte. Gut 1,9 Mrd. Euro beträgt der bilanzielle Verlust, der die üblich hohe Aufwertung des Immobilienbestandes (2,3, Mrd €) fast wieder zunichte macht.

Die Abwertung wird in der Presse als „technisches“ Problem dargestellt, das durch das positive Bewertungsergebnis der Immobilien aufgewogen würde. Fakt bleibt aber, dass das bilanzielle Periodenergebnis gegenüber dem Vergleichszeitraum um 90 % auf geringe 125 Mio. Euro sank.

Ein Jahr zuvor war  also fast das Zehnfache an „fiktiven“ Gewinnen erzielt worden. Normalerweise werden diese in die Gewinnrücklagen eingestellt und erhöhen damit das „Eigenkapital“. Im ersten Halbjahr 2019 musste das Eigenkapital nun „real“ durch Ausgabe neuer Aktien und die Einnahmen aus dem Verkauf der Deutsche Wohnen-Aktien gestärkt werden. Solange die Leitzinsen so niedrig sind und bei Pensionskassen, Versicherungen und Kapitalsammelstellen „Anlagenotstand“ besteht, mag das Modell realer Kapitalerhöhungen bei realen Bauinvestitionen sogar aufgehen. 

Grenzen des Geschäftsmodells?

Sind dies Anzeichen einer Krise des Geschäftsmodells, das über viele Jahre auf immer höhere Mieterwartungen gesetzt hat, jetzt aber damit rechnen muss, auf Grenzen dieses Wachstums zu stoßen?

Sorgen muss sich die Vonovia vor allem um die politischen Folgen ihres bisherigen Kurses machen. Reagiert nicht nur Berlin auf die Mietenexplosion mit zusätzlichen strikten Begrenzungsregeln, wird man noch manche Abschreibung der bisherigen Werte erleben. Nicht ohne Grund ist der Kurs der Deutsche Wohnen-Aktie nach Ankündigung des Berliner Mietendeckels gefallen. Bei der Vonovia fiel dieser Verlust gering aus. Grund ist, dass nur 10 % ihrer Wohnungen in Berlin liegen. „Wir halten das Risiko für Vonovia begrenzt“, heißt es im Halbjahresbericht. Es gebe „aktuell keinen Grund, unsere langfristige Sichtweise auf das Geschäft zu ändern“.

Damit sich die politischen Rahmenbedingungen tatsächlich nicht flächendeckend ändern, wird die Vonovia noch viele Märchenstunden veranstalten und Nebelkerzen werfen.